Abitur, Bachelor, Master – und jetzt?

196 Tage, 111.831 Wörter und unzählige Selbstzweifel später liegt sie endlich vor mir: meine Masterarbeit. Wie sehr ich mich auf diesen Moment gefreut habe. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge klicke ich auf „Senden“ und lausche dem Geräusch meines E-Mail-Programms. Wusch. Und es gibt kein zurück mehr.
Doch statt Freudentränen zu weinen, verengt sich der Knoten in meiner Brust. Der Kloß, den ich schon seit einiger Zeit dort sitzen spüre, aber immer wieder hinuntergeschluckt habe.
Ich habe doch alles erreicht: Abitur, Bachelor, Master. Und trotzdem: Ich fühle mich immer noch nicht fertig. Noch nicht ganz. Nicht bereit für das Leben.
Von klein an wird uns eingetrichtert, wie unser Leben verlaufen sollte, welche Steps es zu erreichen gibt, wie der Königsweg aussieht. Von außen betrachtet habe ich diesen Weg bisher ganz gut gemeistert, mich immer durchgekämpft und ein Ziel nach dem nächsten erreicht. Und doch gibt es in mir diesen kleinen Ort. Diese versteckte, heimliche Nische, die manchmal nach Aufmerksamkeit schreit und fragt: Bin ich hier richtig? Ist das wirklich das, was ich will? Gibt es vielleicht noch mehr?
Nach der Schule zu entscheiden, was man einmal werden möchte, hat sich für mich schon immer falsch angefühlt. Ich wusste zwar, dass ich gerne schreibe und „irgendwas mit Medien“ ganz passend klang. Doch wirklich kennengelernt habe ich mich erst in den Jahren danach, in denen ich aus meiner heilen Welt ausgebrochen und auf eigenen Beinen gestanden bin.
Und trotzdem bin ich immer den gleichen Weg entlanggelaufen und habe mich nur selten an Abzweigungen gewagt. Weil es einfach war. Weil es richtig schien. Und weil ich Angst vor Veränderungen hatte. Heute sitze ich in meiner ersten eigenen Wohnung, den Masterabschluss so gut wie in der Tasche und unsicherer denn je.
Ich kann nicht einmal wirklich sagen, ob ich vor einer Kreuzung stehe, in einer Sackgasse gelandet bin oder vor einem Abgrund stehe. Irgendwie hört der Weg einfach auf und scheint doch unendlich weiterzugehen. Nur dass plötzlich die Wegweiser fehlen, die Leitplanken verschwimmen und die Sicht getrübt ist.
Lange Zeit waren die Schule, der Bachelor und dann der Master eine Art Roadmap für mich: Solange ich mich zwischen diesen Punkten bewege – und zwar vorwärts – ist alles gut. An meinem vorerst letzten Zwischenhalt angekommen muss ich nun feststellen, dass ich gar nicht mehr wirklich weiß, wohin meine Reise eigentlich geht. Wo wollte ich denn ursprünglich hin? Hatte ich denn eigentlich ein Ziel?
Es fällt mir unheimlich schwer, meinen nächsten Halt – mein nächstes Ziel – zu bestimmen. Denn der Weg des Ausprobierens, des Irrens, des Fehlermachens scheint plötzlich vorbei und mündet in eine viel befahrene Hauptstraße mit hupendem Gegenverkehrt und roten Ampeln. Da ist es also. Das Leben.
Es trifft mich ein bisschen überraschend, obwohl ich mich so lange darauf vorbereitet habe. Jetzt geht es also los: Ich muss mich beweisen in dieser Welt, mich profilieren, mit anderen konkurrieren. Ob ich das möchte? Weiß ich noch nicht. Was ich aber weiß ist, dass ich jetzt endgültig über meinen Schatten springen muss, raus aus meiner Komfortzone und ab auf eine der Fahrbahnen. Ob ich erstmal hinter anderen her tuckern werde oder gleich zum Überholen ansetze, wird sich zeigen.
Und auch, wenn ich die Frage „Und jetzt?“ noch nicht beantworten kann und mein nächstes Ziel nicht kenne: Der Weg wird weiter gehen – ob nach links, rechts, oben oder unten ist völlig egal. Man muss nicht immer den eingezeichneten Weg nehmen, nicht immer den Fußspuren anderer folgen, nicht nur die gut gepflasterte Straße wählen. Meist sind es die unbekannten Wege und unberührten Straßen, die uns die schönsten Dinge offenbaren – und uns einen Schritt näher zu uns selbst führen.
❥ Janina