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Die Macht der Vergangenheit

Die Macht der Vergangenheit

Meine Füße taumeln über der Meeresoberfläche. Ich stecke einen Zeh in das kalte Wasser und ziehe in schnell wieder zurück. Ein Schauder läuft mir den Rücken hinunter und meine Haare stellen sich zu Bergen. Ich atme tief ein und wage den Sprung ins schwarze nass. Ich tauche auf und hole tief Luft. Ich beginne zu schwimmen. Immer weiter hinaus. Immer weiter weg vom sicheren Ufer. Je weiter ich komme, desto schwerer wird es, gegen den Strom zu schwimmen. Die Wellen werden stärken und peitschen mir das eisige Wasser ins Gesicht. Meine Lunge brennt wie Feuer, meine Augen bekomme ich fast nicht mehr auf. Um mich herum ist nur Wasser. So viel Wasser. Kein Boot, kein Land. Das Wasser um mich ist tief, schwarz. Ich kann nichts erkennen, weiß nicht wo ich herkomme oder wohin ich will. Etwas zieht an meinen Beinen. Oder zieht es an meiner Seele? Meine Brust ist eingeengt. Ich bekomme kaum noch Luft. Die Wasseroberfläche entfernt sich immer weiter, der Meeresboden kommt näher. Meine Gedanken schalten ab. Ich fühle nur noch die Macht des Meeres und lasse mich gehen.

Plötzlich erinnere ich mich wieder daran, was mein Ziel war. Ich sehe es vor mir, ein Bild, ein Gefühl. Und obwohl mein Körper bereits leblos im Wasser treibt, meine Lunge voller Wasser ist und ich meine Beine nicht mehr spüre, sind meine Gedanken plötzlich klar. Meine Beine schaffen es, sich vom Boden zu stoßen, meine Arme fangen an zu paddeln, bis mein Kopf endlich wieder über Wasser ist. Ich huste, hole Luft, huste, hole Luft. Als ich es endlich schaffe meine Augen zu öffnen, sehe ich den Strand. Er war die ganze Zeit vor meinen Augen. Ich bündle meine letzten Kräfte und schwimme mit dem Strom. Ich strande. Ich liege noch einige Momente im Sand, versuche meinen Atem zu normalisieren. Ich bin am Ziel. Ich lächle, auch wenn mein Körper nachzugeben scheint. Ich bin am Ziel.

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Wir setzen uns in unserem Leben viele Ziele, machen Pläne und stellen uns die Zukunft vor. Wir haben eine genaue Vorstellung davon, was wir erreichen wollen. Manchmal sind wir aber auch ratlos, suchen Halt und scheinen nicht gegen den Strom zu kommen.

Veränderungen und das Erreichen von Zielen erfordern oft einiges an Mut und Selbstvertrauen. Da hat man den perfekten Plan und schmeißt ihn dann in letzter Sekunde wieder um. Warum? Tja, wenn wir das nur wüssten.

Oft ist es die Vergangenheit, die uns im Wege steht. Sie zerrt an uns und hängt ständig an unseren Versen. Sie will beachtet werden, nicht in Vergessenheit geraten. Sie ist immer irgendwie da und macht es uns manchmal verdammt schwer nach vorn zu sehen.

Wie bei einem Kompass hüpft die Nadel hin und her und doch immer wieder in die Gegenrichtung. Man verläuft sich, rennt im Kreis und es scheint keinen Ausweg zu geben.

Ereignisse aus der Vergangenheit gehören zu unserem Leben. Es ist schwer etwas loszulassen, was deine Persönlichkeit ausmacht. Deshalb finde ich es auch schwierig davon zu sprechen, die Vergangenheit hinter sich zu lassen.

Es ist wichtig mit der Vergangenheit abzuschließen. Aber es ist falsch die Vergangenheit aus deinem Leben zu drängen. Alle Erlebnisse, alle Fehler, alles was du je gefühlt hast, macht dich zu der Person, die du heute bist. Natürlich gibt es Tage, Wochen, vielleicht sogar Jahre, die du gerne vergessen würdest. Doch hast du daraus nicht auch gelernt, wieder aufzustehen? Haben dich diese Momente nicht geprägt?

Nicht alles, was uns im Leben begegnet ist gut. Nicht alles können wir verstehen oder hat einen tieferen Sinn. Doch alles passiert in DEINEM Leben. Alles wirkt sich auf deinen nächsten Schritt aus. Alles formt dich. Manches zerrt an dir, manches zieht dich runter. Manches macht dich stärker, manches lässt dich verzweifeln. Und nichts davon kannst du ändern. Du kannst nur ändern, wie du darüber denkst und wie du damit umgehst.

Versuche nicht deine Vergangenheit abzuschütteln, sondern versuche sie in dein Leben zu integrieren. Denn deine Vergangenheit ist machtvoll. Sie gibt dir die Macht es nächstes Mal besser zu machen. Mache sie zu deiner Geheimwaffe.

Was deine Vergangenheit dir lernt, kannst du für die Zukunft verwenden. Es gibt kein Hier und Jetzt ohne ein gestern und ein morgen. Aber du kannst heute den Schritt wagen, vor dem du dich gestern noch gefürchtet hast. Oder eben morgen. Denke nicht daran, dass du es gestern nicht geschafft hast, sondern daran, dass du immer noch an das Ziel denkst, obwohl du schon einmal gescheitert bist.

Das Leben legt dir viele Hürden in den Weg. Deshalb musst du das Ziel nicht ändern und schon gar nicht rückwärts gehen. Wenn jemand sagt, nutze deine Kräfte, du schaffst das – dann deshalb, weil deine Vergangenheit hinter dir steht. Sie stützt dich und treibt dich an.

Sieh die Vergangenheit nicht als Feind, sondern als deine mächtigste Eigenschaft. Denn die Vergangenheit bist du – genau wie du das Heute und das Morgen bist.

Janina

5 Antworten auf „Die Macht der Vergangenheit Hinterlasse einen Kommentar

  1. Liebe Janina,

    das hast du – wieder einmal – wundervoll geschrieben: berührend, eindringlich und (um mal ein altbackenes Altweiber-Wort zu wählen ;)) sehr weise. Ich werde mir deine klugen Erkenntnisse auf jeden Fall zu Herzen nehmen!

    Liebe Grüße,
    Myriam

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